Oberkirchenrat Michael Martin vor dem Fluss Tigris.

Reiste in den Irak, um sich über den Stand des Wiederaufbaus und die Situation der Christen zu informieren: Oberkirchenrat Michael Martin.

Bild: ELKB

Christen im Irak

Hoffnung und Ernüchterung

Vom 27.7. bis 1.8. reiste eine kleine Delegation des Ökumenereferats in den Irak, um sich über die Situation der Christen und den Wiederaufbau zu informieren. Fragen an Oberkirchenrat Michael Martin.

Herr Oberkirchenrat Martin, was war das Ziel Ihrer Reise?

Michael Martin: Ziel der Reise war vor allem die Christen aber auch andere Minderheiten wie z.B. die Jesiden in ihrem Land zu ermutigen, den Wiederaufbau und die Rückkehr in ihre vom IS zerstörten Dörfer zu unterstützen und ihnen durch unseren Besuch zu signalisieren, sie sind nicht allein.

Dann wollten wir natürlich den Fortschritt des Wiederaufbaus vor allem in den Städten und Dörfern der Niniveh-Ebene mit eigenen  Augen sehen. Wir wollten mit den Menschen vor Ort über ihre Perspektiven sprechen und die sehr komplizierte politische Situation besser verstehen. Und natürlich wollten wir herausfinden, welche Unterstützung jetzt gebraucht wird, damit die im Nordirak verblieben Christen (und auch Jeziden) eine Zukunft in ihrer angestammten Heimat haben.  

Irakreise MArtin August 19

Zurück Weiter

Wie hat sich die Situation seit Ihrem letzten Besuch verändert?

Michael Martin: Viele Jeziden sind immer noch in Flüchtlingslagern im Nordirak, da erst sehr wenige von ihnen in ihre Heimat, den Sinjar, westlich von Mossul zurück gekehrt sind. Die Situation dort ist einfach zu unsicher, alle Infrastruktur und viele Häuser sind nach wie vor zerstört, Schulen noch nicht wieder aufgebaut und keine Perspektiven für Arbeitsplätze, etc. vorhanden. Vor allem aber existieren noch zahlreiche Zellen von IS-Kämpfern, die immer wieder Anschläge verüben.

Die Christen sind aus ihren Flüchtlingslagern und Unterkünften im Nordirak meist in ihre angestammten Dörfer und Städte zurück gekehrt  wenn sie nicht nach Nordamerika, Europa oder Australien emigriert sind. Das war einfach in den Dörfern – wie z.B. Alkosh – die in Irakisch-Kurdistan – leben. Schwieriger ist die Rückkehr in  die Niniveh-Ebene westlich von Mossul, die vom Zentralirak in Bagdad verwaltet wird. Dort gibt es massive Spannungen mit Schiitischen Gruppen, die z.B. in Bartella christliche Grundstücke und Wohnungen übernommen haben. Dazu werden z.T. Grundbücher gefälscht. „Die Zentralregierung in Bagdad tut nichts für die Minderheiten“, haben wir gehört. Andererseits ist in andere Städte, wie z.B. in Karakosh, wieder blühendes christliches Leben zurück gekehrt. Von ehemals 50.000 Christen leben heute wieder ca. 20.000 dort. Ein besonderer Hoffnungsort ist das überaus fruchtbare Nahla-Valley in den kurdischen Bergen, in dem heute wieder acht christliche Dörfer besiedelt sind.

Manche sitzen auf gepackten Koffern

Grundsätzlich ist die Stimmung gerade unter jungen Menschen sehr viel ernüchternder als noch vor einem Jahr. Bei unseren Gesprächen stellte sich heraus, dass nur sehr wenige ihre Zukunft im Irak sehen, ja, dass die meisten „auf gepackten Koffern sitzen“ und nur auf eine Chance zur Auswanderung warten. Das war vor einem Jahr ganz anders, als viele noch ihre Zukunft im Irak gesehen haben. Aber es gibt Hoffnung, vor allem in Irakisch-Kurdistan, für die, die bleiben wollen. Wir sollten sie in ihrem Entschluss unterstützen und Projekte fördern, die ihnen helfen im Land zu bleiben damit die 2000jährige Geschichte der Christen dort nicht zu Ende geht.  

Was macht den Menschen am meisten Sorgen?

Michael Martin: Eindeutig die Unsicherheit für Minderheiten. Aufgerieben zwischen Schiiten und Kurden, verschiedenen Milizen, Flüchtlingen aus Syrien, Angriffen von der Türkei, dem Streit zwischen USA und Iran, den versprengten IS-Kämpfern und persönlichen Nachteilen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen, etc. fühlen sich Christen und Jeziden extrem unsicher. Daneben gibt es nur sehr wenige Job-Perspektiven, gerade für sehr gut ausgebildete. Und dann sind da noch die Berichte von emigrierten Verwandten, die den Auswanderungswillen extrem fördern. 

Wo sind sie auf Hilfe von uns angewiesen?

Michael Martin: Hilfe braucht es bei neuen Jobs. Income-generating-projects, die CAPNI mit einem revolving-Fond fördert sind eine große Hilfe. Außerdem braucht es nach wie vor Hilfen zum Wiederaufbau und „Hoffnungsprojekte“ wie z.B. Bewässerungskanäle im Nahla-Valley.

Daneben ist auch politische Unterstützung nötig – evtl. für eine Sicherheitszone im Nordirak speziell für Minderheiten im von Bagdad verwalteten Teil der Niniveh-Ebene. Die Regierung in Irakisch-Kurdistan möchte die Minderheiten unterstützen. Das tägliche Miteinander sieht bisweilen ganz anders aus.  

Wie sehen Sie die Zukunft der Christen im Irak?

Michael Martin: Aktuell gibt es Hoffnungszeichen. Aber wenn es stimmt, dass nur noch ca. 150.000 Christen im Irak leben, ist die Zukunft völlig offen. Es könnte auch zu einem völligen Ende der 2000jährigen christlichen Kultur im Irak kommen. In Bagdad und Mossul ist das bereits nahezu eingetreten. Hoffnung gibt es für Dörfer und Städte in Irakisch-Kurdistan, aber auch für die in der Niniveh-Ebene, wenn ihnen der entsprechende Schutz gewährt werden wird.

Was waren die stärksten Hoffnungszeichen für Sie?

Michael Martin: Ein junger Rückkehrer mit Namen Ashur aus Großbritannien im Nahla-Valley; der Wiederaufbau in christlichen Städten und Dörfern nach der fast vollständigen Zerstörung durch den IS; der ebenfalls aus Großbritannien zurück gekehrte junge syrisch–katholische Bischof in Karakosch; die jungen Menschen, die trotz allem Hoffnung haben, im Land zu bleiben.

Begegnungen, die Sie besonders bewegt haben?

Michael Martin: Junge Menschen im Nahla-Valley, die trotz sehr guter Ausbildung in ihren Dörfern blieben wollen und dort mit ihren Familien leben möchten. Ein junger Priester der apostolischen Kirche des Ostens, dessen Gemeinde im September einen Kindergarten in Ankawa, dem christlichen Viertel von Erbil eröffnen wird. Der christliche Minister für Straßenbau in Irakisch-Kurdistan, der seinen Amtseid mit der Hand auf eine in Krakosch fast verbrannte Bibel abgelegt hat.

08.08.2019
ELKB