Mosambik Müllkippe Maputo Frau sammelt

Auf der Müllkippe Hulene am Rande der Millionenstadt Maputo suchen die Ärmsten der Armen nach Verwertbarem: Plastik und Metall, Glas und Karton.

Bild: Brot für die Welt / Helge Bendl

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Eine Chance für die Müllkinder

Auf der riesigen Müllkippe der Hauptstadt Maputo arbeiteten früher auch viele Kinder. Heute gehen die meisten in die Schule und werden in einem Sozialzentrum betreut.

Wäre der Wind gnädig, würde er den Gestank auch mal in die andere Richtung wehen. Dann könnten Beatriz und Cândido, Etelvina und Francisco zumindest ab und an tief Luft holen. Doch seit Tagen regt sich über der Hütte, in der die vier Kinder wohnen, kaum ein Hauch. So hängt bestialischer Fäul-nisgeruch wie eine Glocke über der Siedlung, die an die Müllhalde Hulene grenzt. Dazu kratzt beißender Qualm in der Lunge: Er wird genährt von unzähligen Feuern, die unentwegt vor sich hin schwelen. Und wenn mal schwarze Wolken aufsteigen, fallen daraus keine erfrischenden Tropfen. Sondern Ascheflöckchen, weil auf dem Abfallberg wieder einmal Autoreifen brennen.

Die Untersuchung der Vereinten Nationen hat ergeben, dass Heranwachsende in Mosambik im Schnitt nur dreieinhalb Jahre lang zur Schule gegangen sind. Bei Mädchen sind es sogar nur zweieinhalb Jahre: Sie sind also noch viel mehr benachteiligt als die Jungs! Es wird vom Staat einfach nicht kontrolliert. Und viele Eltern zweifeln, ob der Schulbesuch ihren Kindern nutzt – es gibt zu wenig Lehrer und Materialien.

Carolina Matavele, Projektkoordinatorin von Renascer-OMAC

Hulene, das ist das Dreckloch der Millionenstadt Maputo. Was dort weggeworfen wird, durchsieben die Menschen hier rund um die Uhr nach Verwertbarem. Sieben Cent pro Kilo zahlen Schrotthändler für Dosen und das Stahlgewebe in Gummireifen, für Plastikflaschen und Kartons gibt es noch weniger. Selbst im armen Mosambik ist das so gut wie nichts. Wer in diesem Morast schuften muss, hat keine andere Wahl. Es sind meist Frauen, die dies tun. Viele von ihnen ackern vor allem für ein Ziel: Ihre Kinder sollen es einmal besser haben.

Mut zum Träumen

Francisco ist sechs Jahre alt und der jüngste Sohn von Julieta Mazivila, einer der Müllsammlerinnen. „Meine Mutter kann zwar nicht lesen und schreiben“, erzählt der Junge. Dann zeigt er sein Schulheft vor, vollgeschrieben mit den Buchstaben des Alphabets. „Aber ich lerne das jetzt!“ Sein Bruder Cândido ist drei Jahre älter und verbringt Stunden damit, in Schulbüchern zu schmökern. Kürzlich hat er seine Lehrerin gefragt: „Wie wird man eigentlich Wissenschaftler?“ Die hatte zwar keine befriedigende Antwort. „Aber ich weiß, dass ich in Mathe besser werden muss.“ Seine zehnjährige Schwester Beatriz ist die Kreative in der Runde und zeichnet gerne mit Buntstiften. Wenn alles klappt, will sie dieses Hobby zum Beruf machen. Am liebsten im Team mit Etelvina, ihrer älteren Schwester. Sie ist schon 13 und liebt jene bunten Kleider, mit denen sich die Frauen in Mosambik herausputzen. Sie ist überzeugt: „Ich werde eine berühmte Modedesignerin!“

Dass die Kinder diese Träume haben können, verdanken sie der Hilfsorganisation Renascer-OMAC. Ihre Mitarbeitenden sorgen mit unzähligen Hausbesuchen dafür, dass fast alle Mädchen und Jungen aus dem Umfeld der Müllkippe in die Schule gehen. Nur wenige treiben sich noch unbeaufsichtigt auf der Straße herum. Damit die Kinder auch nach dem Unterricht eine Anlaufstelle haben, gibt es außerdem das Sozialzentrum „Centro Renascer“ (Neuanfang), eine Kombination aus Kindertagesstätte, Lernort, Spielplatz und Ausbildungsstätte. Hier kümmern sich drei Sozialarbeiterinnen um die Kinder, gelegentlich unterstützt von einem Team von Psychologinnen und Psychologen. Außerdem unterstützen Trainer die Heranwachsenden bei der Berufswahl. „Wir sind ein Schutzraum, in dem sich die Kinder wie zu Hause fühlen“, sagt Carolina Matavele. Dann denkt die Direktorin von Renascer-OMAC nach und korrigiert sich: „Für viele der Kinder ist unser Zentrum das eigentliche Zuhause.“

Auch Julieta Mazivila verbringt hier viele Stunden. „Ich brauche eben jeden Cent, um für die Kinder zu sorgen“, sagt sie. Ihr Mann hat sie sitzengelassen.

Bild: Brot für die Welt / Helge Bendl

Mosambik Müllkippe Maputo Kinder

„Manchmal regnet’s rein"

Wenn sich die ersten Sonnenstrahlen noch durch den dichten Dunst kämpfen, haben Beatriz und Cândido, Etelvina und Francisco ihre dünnen Matratzen längst beiseite geräumt. Zwei Zimmerchen aus Zementsteinen, darüber ein Wellblechdach: Das ist das Heim von Familie Mazivila. „Manchmal regnet’s rein“, erzählt Beatriz, ein aufgewecktes Mädchen von zehn Jahren. „Aber es leben ja auch Leute in Holzverschlägen mit Plastikplanen – da geht’s uns besser.“

Während sie mit der Schöpfkelle – es gibt kein fließendes Wasser – eine Morgendusche nimmt, kehrt Francisco die Hütte aus. Cândido facht das Feuer an. Und Etelvina rührt den Maisbrei fürs Frühstück. Jedes Kind hat seine Aufgabe. Gegessen wird alleine: Die Mutter arbeitet nachts auf der Müllkippe und ist noch nicht zurück. Wenn es aber an der Zeit ist, zur Schule zu gehen, steht Julieta Mazivila auf der Matte: Sie stellt sicher, dass alle Uniform tragen und pünktlich losmarschieren. „Nach dem Unterricht geht ihr ins Sozialzentrum“, weist sie die Kids an. „Können wir nicht gleich dorthin? Im Zentrum lernt man mehr als in der Schule – und es macht auch mehr Spaß“, versucht es Etelvina. Aber Regeln sind Regeln.

Dass ihre Kinder ebenso wie die meisten in der Umgebund der Müllkippe in die Schule gehen können, verdanken sie der Hilfsorganisation Renascer-OMAC.

Bild: Brot für die Welt / Helge Bendl

Mosambik Maputo Schulzentrum Kinder

Ein gefährlicher Job

Nacht für Nacht verbringt Julieta Mazivila auf Maputos größter Müllkippe. Wenn die Lastwagen ihre Ladung abladen, stochert die 42-Jährige mit Metallhaken nach Plastik und Metall, Glas und Karton. Leichte Fundstücke balanciert sie in einem Netz auf dem Kopf den steilen Abhang herunter, schwere Säcke schleppt sie auf dem Rücken. Doch warum nachts? „Dann sind wenig Leute unterwegs, es gibt kaum Konkurrenz“, erzählt sie. „Ich brauche eben jeden Cent, um für die Kinder zu sorgen. Mein Mann ist mit einer anderen Frau auf und davon. Wenn er mal etwas zahlt, kann ich davon gerade mal einen Sack Reis kaufen.“

Die Arbeit im Abfall ist ein riskanter Job: „Ich wäre einmal fast von einem Müllwagen überfahren worden.“ Schon tagsüber ist die Halde ein Ort, an dem nur das Recht des Stärkeren zählt. Nachts ist es dort aber noch gefährlicher: Im Schutz der Dunkelheit wurden Frauen schon ausgeraubt und sexuell belästigt. Vergangenes Jahr passierte dann ein Unglück: 16 Menschen starben, als eine Mülllawine zehn Häuser unter sich begrub. Eigentlich hätte das Areal längst wegen Überfüllung geschlossen werden sollen, doch passiert ist nichts. Der stinkende Berg aus Abfall wächst weiter: Er ist höher als alle Gebäude in der Umgebung und erstreckt sich über eine Fläche so groß wie 30 Fußballfelder.

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Weniger

„Vor ein paar Jahren haben noch tausend Mädchen und Jungen beim Sortieren des Abfalls geholfen“, erzählt Julieta Mazivila. „Jetzt gibt es dort nur noch wenige.“ Die Aufklärungsarbeit von Renascer-OMAC über Kinderrechte trägt Früchte. Ihrem eigenen Nachwuchs hat die 42-Jährige kategorisch verboten, sich in der Nähe der Müllkippe aufzuhalten. „Kinder brauchen sichere Orte und Menschen, die sie umsorgen. Die Müllkippe ist das Gegenteil. Dass OMAC das Sozialzentrum betreibt, ist für uns alle im Viertel ein Segen.“

Doch bevor ihre Kinder dorthin dürfen, müssen sie erst noch zum Unterricht: Wie viele Kinder aus dem Viertel rund um die Müllkippe besuchen sie die staatliche Grundschule von Laulane. Ebenfalls ein Erfolg von Renascer-OMAC: Die Mitarbeiterinnen der Organisation helfen den Eltern bei der Anmeldung. In Beatriz‘ fünfter Klasse diskutieren die Schülerinnen und Schüler heute über die Rechte und Pflichten von Kindern. Ein paar Zimmer weiter lernt Cândido, dass in Avocado, Mango und Limone viele Vitamine stecken. Etelvina in der Sechsten bekommt neue Schulbücher und vertieft sich in die Sprachvarianten des Portugiesischen. Bei Francisco in der zweiten Klasse stehen Lese- und Schreibübungen auf dem Stundenplan. Lehrerin Lourdes Munguambe holt ihn an die Tafel und übt mit ihm erst einzelne Buchstaben, dann Silben. „Ein echter Sonnenschein“, sagt sie über den Sechsjährigen.

Im Sozialzentrum der Organisation bekommen die Kinder jeden Tag ein warmes Mittagessen. Für manche ist es die einzige Mahlzeit des Tages.

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Mosambik Maputo Schulzentrum Mittagessen

Ein warmes Mittagessen

Nach dem Unterricht machen sich die Geschwister auf zum „Centro Renascer“. Der wichtigste Ort dort ist nicht das Zimmer der Direktorin. Es ist die Küche. Artemisa und Gilda heißen die zwei guten Seelen, zu denen man mit einem aufgeschürften Knie als Erstes rennt, um sich trösten zu lassen, und die einen auch sonst mal auf und in den Arm nehmen. Scheinbar nebenher füllen sie riesige Töpfe mit leckerem Essen. 150 Portionen und mehr sind es jeden Tag: Heute gibt es randvolle Teller „Arroz com feijão“, also Reis mit Bohnen. Wer will, bekommt einen Nachschlag, und das wollen viele: Für manche Kinder ist das warme Mittagessen die einzige Mahlzeit des Tages.

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Weniger

Wenig später schallt aus einem der Zimmer ein lautes „A, E, I, O, U“: Francisco steht an der Tafel und übt die Vokale. „Wir wiederholen den Stoff des Unterrichts – das war zumindest die Idee“, sagt Saquitifa Maquete, eine der Sozialarbeiterinnen. Die Realität sieht meist anders aus: „Oft sind wir es, die den Kindern etwas beibringen, nicht die Lehrer.“ In der Grundschule sitzen manchmal 60 Kinder oder mehr in einer Klasse – wer da nicht mitkommt, hat Pech gehabt. Im Zentrum dagegen gibt es eine individuelle Betreuung. Hier hat jedes Kind eine eigene Akte, in der Defizite beim Lernen notiert und Fördermaßnahmen festgelegt werden. So hilft Saquitifa Maquete ihrem Schützling Francisco heute dreißig Minuten lang beim Schreiben. Gemeinsam führen die beiden den Stift übers Papier, bis er die Aufgabe alleine meistert. Seine Schwester Etelvina trägt ihren Freundinnen die Fabel von der Katze und der Ratte vor, die sie gerade in einem Schulbuch gelesen hat. Das machen die Mädchen gerne: „In der Schule ist es immer laut und hektisch. Hier hat man mehr Ruhe.“ Wer will, kann sich aber auch eine praktische Aufgabe suchen. Beatriz ist geschickt mit den Händen und lässt sich von Trainer Paulo Como beibringen, wie man aus Palmblattstreifen einen Korb formt. Teenager zwischen 14 und 17 Jahren, die auf eine weiterführende Schule gehen, können im Sozialzentrum nämlich eine Ausbildung im Metallbau, Schneidern und Korbflechten machen. Zwar ist Beatriz noch nicht so weit. Aber wer schon früher anfangen will, etwas Praktisches zu lernen, wird hier nicht davon abgehalten.

Doch es geht nicht nur um Unterstützung beim Lernen: Im „Centro Renascer“ dürfen die Kinder auch einfach Kinder sein. In solchen Momenten ist die Müllkippe ganz weit weg.

Bild: Brot für die Welt / Helge Bendl

Mosambik Maputo Schulzentrum Kinder spielen

18.02.2020
Brot für die Welt

Cândido spielt derweil mit Freunden eine Partie Mancala: Das Brettspiel, bei dem Steine in Mulden umverteilt werden müssen, gibt es überall in Afrika. Doch dann ist es Zeit zu toben: Ein Dutzend Kids spielt vor dem Zentrum Fangen und schleppt dann ein paar ausrangierte Lastwagenreifen heran. „Damit kann man tolle Sprünge machen“, erklärt Cândido und zeigt gleich einen Salto. Denn im Sozialzentrum geht es nicht nur um Unterstützung beim Lernen: Hier dürfen Kinder auch einfach Kinder sein. In solchen Momenten ist die Müllkippe, obwohl nur ein paar hundert Meter entfernt, ganz weit weg.