Plakat mit Mahsa Amini, das bei einer Demonstration in die Höhe gehalten wird

Mit dem Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini fing es an: Im Echinger Dialog wurde über die Situation und die Proteste im Iran informiert und diskutiert.

Bild: Kirchengemeinde Eching

Echinger Dialoge: Frauen im Iran

„Es bröckelt schon sehr…“

Scheinbar unbeschwert werfen junge Frauen in einem Video im Iran ihr Kopftuch weg, später sind riesige Demonstrationen zu sehen. Geheim aufgenommene Videos aus privaten Quellen, die beim 4. Echinger Dialog in der Magdalenenkirche zu sehen sind.

Doch in der Tat demonstrieren die jungen Menschen darauf jeden Tag unter Einsatz ihres Lebens: Es sind vor allem junge Frauen, die sich offen ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit begeben. Trotz angedrohter Verhaftungen und mittlerweile auch verhängter Todesstrafen. Auslöser der landesweiten Proteste war der Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die 22-Jährige war kurz nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei wegen eines nicht ordnungsgemäß getragenen Kopftuchs vermutlich durch Schläge gestorben.

Es sind ungewöhnlich tiefe Einblicke an diesem Abend in Eching im Norden von München und die emotionalen Berichte direkt aus Iran treffen direkt ins Herz: „In den weiter abgelegeneren Provinzen prügelt und schießt die Polizei einfach weiter auf die Menschen“, berichtete Farrhid Habibi vom „Munich Circle“, einer Münchner Unterstützergruppe der Proteste im Iran. “Man hat jeden Tag Angst um seine Verwandten, weil die Polizei völlig wahllos verhaften kann“, so eine Frau aus Freising. Und ein älterer Iraner dankte mit Tränen in den Augen „den mutigen Frauen“, die die Proteste angestoßen hatten. „Wir Männer haben das nicht geschafft, auch wenn nun alle auf den Straßen sind.“

Aussagen von Frauen sind weniger wert

Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seit Mitte September bei den Protesten mindestens 470 Demonstranten getötet und mehr als 18.000 Iranerinnen und Iraner verhaftet. Die Ev. Kirchengemeinde Eching hatte im Rahmen ihres „Echinger Dialoges“ wieder ein Experten-Podium organsiert, darunter diesmal auch die Islam-Wissenschaftlerin Dr. Sarah Kiyanvad von der Ludwigs-Maximilian-Universität aus München. Sie zeigte auf, wieviel Rechte Frauen früher im Iran eigentlich schon sich erkämpft hatten, bis das streng-religiöse Mullah-Regime an die Macht kam. Heute dürfen sie nur mit „Genehmigung“ ihrer Ehemänner studieren oder arbeiten. Auch das Scheidungsrecht liegt nur beim Mann.

Als eine sehr genaue und kompetente Beobachterin der heutigen Situation gilt auch die BR-Journalistin Shahrzad Eden Osterer, die als junge Frau den Iran verließ. Obwohl sie wegen schwerer Grippe in letzter Minute beim Echinger Dialog absagen musste, ließ sie dennoch ihre Worte zur Situation der Frauen mitteilen: „Beim Sorgerecht sind Frauen ebenfalls schlechter gestellt als Männer. Ihre Aussagen sind weniger wert, das ist sogar juristisch festgelegt: Die Aussage von vier Frauen vor Gericht gilt wie die Aussage eines Mannes. Ein Mann darf vier Frauen heiraten, Frauen nur einen Mann. Diese frauenfeindlichen Gesetze wurden von Anfang an eingeführt, um die Kraft, Macht und Körper on Frauen zu kontrollieren.“

Diskutierten in der Echinger Magdalenenkirche: Von lins: der Freisinger Dekan Chrstian Weigl, Sarah Kiyanvad und Farrhid Habibi

Bild: Frank Horlbeck

Von lins: der Freisinger Dekan Chrstian Weigl, Sarah Kiyanvad und Farrhid Habibi

09.12.2022
Frank Horlbeck

Es sei nun vor allem der Jugend im Iran zu verdanken, dass sie es sich zur lebensgefährlichen Aufgabe gemacht hat, das Regime zu verdrängen, erklärte Farrhid Habibi. Es sei nun auch eine völlig neue Art der Proteste: Man erlebe eine „Instagram-Revolution“, denn nur über die sozialen Medien kämen die Nachrichten noch aus dem Iran heraus. Doch genau so sei es möglich heute die Proteste in alle Welt zu tragen. „Wir helfen den Menschen im Iran so enorm“, erklärte Habibi. 

Shahrzad Eden Osterer hat diesen neuen kreativen Kampf auch so wahrgenommen: „Die Generation Z hat diese Angst nicht – und sie ist unheimlich verzweifelt. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen. Sie wissen genau, wie die Welt da draußen aussieht und was Freiheit bedeutet. Sie wollen dieses Leben unter dem System nicht und sie wollen keine Kompromisse. Diese Generation ist mutig und konfrontationsbereit. Sie denkt freier und intersektionaler. Das alles darf man nicht unterschätzen.“

Freie Berichterstattung gibt es nicht

Und der Protest erfasst nun wirklich alle Schichten: Ganze Firmen legen die Arbeit nieder, gut 90 Prozent der Einzelhändler im Iran haben an den letzten drei landesweiten Protesttagen aus Solidarität ihre Läden geschlossen gehalten. Es sind Zeichen des Protestes, die man nur wahrnehmen kann, wenn man den sozialen Medien folgt, denn eine freie Berichterstattung gibt es nicht mehr aus dem Iran.

Im Publikum waren auch viele in Umkreis von München lebende Iraner, unteranderem die Nichte der letzten iranischen Bildungsministerin vor dem jetzigen Mullah-Regime. Sie schilderte die Unterdrückung ihrer Familie, die schlimme tägliche Angst um Verwandte. Die vom Regime jetzt verkündete Auflösung der „Sittenpolizei“ bezeichnete Habibi als „echte Fake-News“. Denn die Gesetze gelten weiterhin und die Generalstaatsanwaltschaft im Iran, die die Auflösung Mediengerecht verkündet hatte, habe tatsächlich dazu faktisch gar kein Recht im Land der Mullahs. Die Iraner wollten aber jetzt ihre ganze Freiheit zurück, die ihnen „seit 43 Jahren völlig genommen“ worden sei.

"Missbrauch von Religion ist nicht hinnehmbar"

Der Dekan der Ev. Kirche in Freising, Christian Weigl, ebenfalls auf dem Podium, fand dazu klarste Worte: „Es gibt einen politischen Missbrauch von Religion und religiöser Tradition zum Zwecke der Unterdrückung und zum Machterhalt – das ist nicht hinnehmbar, weder im Iran noch anderswo.“ Pfarrerin Maral Zahed, die ebenfalls im Iran geboren wurde und mit ihrer Familie das Land verlassen musste, erinnerte sich an diesem Abend auch sehr genau an ihre Kindheit. Als sie einmal im heißen Teheran als kleines Mädchen bei „sehr heißen 40 Grad mit Schleier aber Flip-Flops an den Füssen“ vor die Tür trat, wurde sie sofort von „Sittenwächtern“ aufgehalten, weil ihre Füße nicht bedeckt waren. Selbst in die Schule seien die Sittenwächter gekommen, um die Kinder über ihre Eltern auszufragen.

Farrhid Habibi fasste den schwierigen Alltag der Menschen im Iran treffend zusammen: „Man hört einfach auf zu lächeln, wenn man die Wohnung verlässt.“ Aber auch an die Schönheit des Landes und seine Kultur erinnerte Pfarrerin Maral Zahed und lud am Ende des Abends in Eching zu einem gemeinsamen Moment der Stille als Zeichen der tiefen Solidarität mit den Menschen im Iran ein. Und sie mahnte: „Als Christen dürfen wir bei Unrecht nicht wegsehen, denn selbst Kinder und Jugendliche werden nun schon verhaftet.“

Leichte Zeichen der Hoffnung

In Eching will man weiter engen Kontakt halten und auch die Namen der Verhafteten, denen die Todesstrafe droht, jetzt mit öffentlich machen, um den weltweiten Druck auf das Regime weiter zu unterstützen. Und man wünscht sich dringend auch ein stärkeres Engagement sowohl von der Politik wie auch von beiden Kirchen in Deutschland. Die nun aktuell ausgesprochen und teilweise schon vollstreckten Todesurteile gegen junge Menschen verschärfen diesen Konflikt nun noch einmal mehr und demaskieren für alle offensichtlich das Regime vollends. Aber es gibt auch leichte Zeichen der Hoffnung, denn so Farrhid Habibi, das Gewalt-System der Unterdrückung im Iran, so seine abschließende Einschätzung, „es bröckelt schon sehr“.