Gedenkakt mit Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm an der Gedenkstätte Flossenbürg

Sieben Überlebende und Angehörigen von NS-Opfern aus der ganzen Welt waren zum 78. Befreiungstag gekommen.

Bild: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Foto: Thomas Dashuber

78. Befreiungstag in Flossenbürg

"Bleibendes Erschrecken"

Über 100.000 Menschen erlitten im Konzentrationslager Flossenbürg unmenschliche Qualen, rund 30.000 starben. Zum 78. Befreiungstag kamen Angehörige aus der ganzen Welt in die Gedenkstätte - darunter auch sieben Überlebende.

Seit 2008 kommt Leon Weintraub einmal im Jahr an den Ort größten Leidens zurück: Der 97-Jährige hat das Konzentrationslager Flossenbürg überlebt. Bei der Gedenkfeier zum 78. Jahrestag der Befreiung durch US-Truppen würdigte Weintraub all jene, die der nationalsozialistischen Ideologie zum Opfer gefallen seien. „Diese Ideologie, die am Anfang ‚nur‘ Rassismus war, hat mit der Ermordung Millionen Unschuldiger und einem Europa in Ruinen geendet“, sagte der Zeitzeuge.

Er sehe mit großem Bedauern, wie viele rechte Gruppen sich heute in Deutschland und vielen anderen Ländern breit machten. Als Frauenarzt und Geburtshelfer könne er mit Sicherheit sagen, dass jedes Baby ohne Vorurteile zur Welt komme. „Ein Kind wird als Mensch geboren“, sagte Weintraub: „Es ist unsere Aufgabe, zu lehren, ein Leben lang Mensch zu sein und zu bleiben.“

" Wer die Untrennbarkeit von Gottesliebe und Nächstenliebe wirklich ernstnimmt, kann gar nicht schweigen, wenn Humanität mit Füßen getreten wird. Wer wirklich fromm ist, wird sich immer fragen müssen, wo Menschen, denen Unrecht geschieht, persönlich wie öffentlich auf Beistand angewiesen sind."

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm

Bedford-Strohm: für eine fortdauernde Erinnerungskultur

In seiner Rede zum Jahrestag plädierte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm für eine fortdauernde öffentliche Erinnerungskultur. Das „bleibende Erschrecken“ über „die unfassbare Missachtung“ der Menschlichkeit an Orten wie Flossenbürg sei nötig, damit eine „öffentliche Kultur der Humanität“ neue Kraft bekomme. Dieser Ort erinnere die Gesellschaft an die Zerbrechlichkeit von ethischen Überzeugungen, die man für gesichert halte. „Sie sind nicht gesichert“, betonte Bedford-Strohm: „Wir müssen immer wieder von neuem dafür eintreten.“ Das gelte besonders im Bereich der sozialen Medien. Weil extreme Inhalte im Netz mehr Werbeeinnahmen versprächen, bekomme „menschliche Kälte, Hass und Menschenfeindlichkeit“ einen immer größeren Raum, kritisierte der Theologe. Davon profitierten populistische Bewegungen, die sich dieser Logik bedienten.

Landesbischof Bedford-Strohm bei seiner Ansprache am Gedenkakt

Bild: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Foto: Thomas Dashuber

Landesbischof Bedford-Strohm bei seiner Ansprache am Gedenkakt

Bedford-Strohm erinnerte an den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945 in Flossenbürg hingerichtet worden war. Bonhoeffer sei dafür eingetreten, dass sich Theologie und Ethik in die Politik einmischen müsse. Viele Christinnen und Christen hätten während der NS-Herrschaft die Diskrepanz zwischen privater Tugendhaftigkeit und der „mörderischen öffentlichen Energie in der Zeit des Dritten Reichs“ widerspruchslos hingenommen oder sogar befördert. Das sei „Ausdruck eines unfassbaren Versagens“, das ins kulturelle Gedächtnis der Deutschen eingeschrieben bleiben müsse, betonte der Landesbischof.

Ein virtueller Rundgang über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Herrmann: Eine stabile Demokratie ist nicht selbstverständlich.

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte bei der Gedenkfeier, dass der Ort des ehemaligen KZ Flossenbürg „uns auch nach so langer Zeit noch mit tiefer Bestürzung und Scham“ erfülle. Dass Menschen in Deutschland 78 Jahre nach Kriegsende in einer stabilen Demokratie lebten, sei „alles andere als selbstverständlich“, sagte Herrmann in seiner Rede. Das zeige auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der Innenminister verwies darauf, dass die Barbarei des NS-Regimes „nicht am Verhandlungstisch, sondern militärisch niedergerungen wurde“. Es sei deshalb richtig, „dass wir dem ukrainischen Volk gegen die russische Aggression auch mit Waffen und schwerem Geschütz beistehen“. Das Bekenntnis für Frieden und Freiheit dürfe im Ernstfall kein bloßes Lippenbekenntnis bleiben.

Skribeleit: ein Triumph der Hoffnung und ein Tag der Trauer

KZ-Gedenkstättenleiter Jörg Skribeleit begrüßte sieben Überlebende des Lagerkomplexes Flossenbürg und rund 400 internationale Angehörige von NS-Verfolgten. Die Befreiung des KZ Flossenbürg sei für viele Überlebende ein Triumph der Hoffnung und zugleich ein Tag der Trauer gewesen: „Trauer darüber, wen man verloren hat und dass man allein ist“, zitierte Skribeleit den 2022 verstorbenen Flossenbürg-Überlebenden Jack Terry.

Die Nationalsozialisten hatten das Konzentrationslager Flossenbürg im Jahr 1938 errichtet. Politische Gegner, Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma sowie Kriegsgefangene waren dort eingesperrt. Von insgesamt rund 100.000 Inhaftierten starben laut Gedenkstätte etwa 30.000 an den Folgen von Zwangsarbeit sowie an Hunger, Terror und Gewalt. Am 23. April 1945 befreiten US-Truppen das KZ Flossenbürg.

24.04.2023
epd

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