Die Diskussion ist wertvoll. Sie hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft wach ist für ethische Konflikte.

Die Diskussion ist wertvoll. Sie hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft wach ist für ethische Konflikte.

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Interview mit Landesbischof Kopp

"Respekt vor der Freiheit"

Interview mit Landesbischof Christian Kopp zur Stellungnahme der EKD zur Novellierung des Schwangerschaftsabbruch.

Kurz vor Weihnachten hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Stellung genommen zu dem Bericht der Kommission zur Reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. Für dieses Papier, das auf der Grundlage des Koalitionsvertrags von den Bundesministern für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), für Justiz, Dr. Marco Buschmann (FDP) und der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus (Bündnis 90 Die Grünen)  beauftragt worden war, hatten Expertinnen in einer Arbeitsgruppe »Möglichkeiten der Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs« eruiert und Vorschläge für eine »einfachgesetzliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch« gemacht. Das war im April 2024. Daraufhin hat die EKD eine Arbeitsgruppe in ihrem Kammernetzwerk eingesetzt, die sich mit dem Bericht und einem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (BT-DS 20/13775) beschäftigen und hierfür theologisch-ethische Argumente liefern sollte. Dieser »theologisch-ethische Diskussionsbeitrag der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Debatte um § 218 StGB« wurde im Dezember 2024 vorgelegt und gemeinsam mit einer Stellungnahme der EKD am 18. 12. 2024 veröffentlicht.  

"Die Stellungnahme der EKD begrüßt, dass die vorgeschlagene Neuregelung keinen moralisierenden Ton gegenüber Schwangeren anschlägt."

Landesbischof Christian Kopp

Kernpunkte der EKD-Stellungnahme sind:
1.) die Betonung des unauflösbaren Konflikts zwischen dem Anspruch des Ungeborenen auf Leben und der Selbstbestimmung der Schwangeren.
2.) Eine Entscheidung im Schwangerschaftskonflikt kann nur mit der schwangeren Frau und nicht gegen sie gefunden werden.
3.) wird begrüßt, dass die Neuregelung jeden moralisierend-belehrenden Ton vermeidet und der Stigmatisierung von Frauen im Schwangerschaftskonflikt entgegentritt.
4.) kann sich die EKD vorstellen, weite Teile des Schwangerschaftsabbruchs rechtlich außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln und nur jene Teile im Strafgesetzbuch zu belassen, wo ein Schwangerschaftsabbruch ohne das Wissen oder gegen den Willen der Frau durchgeführt wird.
5.) Um die gleichwertigen Ansprüche von ungeborenem Leben und Selbstbestimmung der Frau zu gewährleisten, wird eine Beratungspflicht und ein rechtlich abgesichertes, niederschwelliges, wohnortnahes, flächendeckendes, kostenfreies und qualifiziertes psychosoziales Beratungsangebot für Schwangere und ggf. ihre Partner gefordert. Hier weicht die Stellungnahme der EKD vom Kommissionsbericht ab, der eine Beratung freistellen will.
6.) betont die EKD, dass es neben der Verantwortung der Schwangeren auch eine Verantwortung von Kirche, Staat und Gesellschaft gibt, »ein Umfeld zu schaffen, das die Entscheidung für das Austragen einer Schwangerschaft erleichtert, und so die Konfliktsituation aufzulösen hilft«. In der Summe der Maßnahmen soll ein effektiver Schutz des Lebens ermöglicht und zu einem kinder- und familienfreundlichen Klima in der Gesellschaft beigetragen werden.

Nachdem die sog. Ampelregierung zerbrochen ist, sich nach Neuwahlen eine andere Regierungskonstellation gebildet hat und Mehrheiten für eine Gesetzesänderung beim § 218 aktuell nicht erkennbar sind, könnte man die Sache auf sich beruhen lassen. Wozu sollte sich Ihrer Meinung nach die Kirche gleichwohl an der aktuellen Diskussion beteiligen und sich unabhängig von möglichen Gesetzesänderungen einbringen? 
Christian Kopp:
Die Diskussion ist wertvoll. Sie hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft wach ist für ethische Konflikte – und dass sie die Kraft hat, sich konstruktiv damit auseinanderzusetzen. Das ist ein Fortschritt. Die Stellungnahme der EKD begrüßt, dass die vorgeschlagene Neuregelung keinen moralisierenden Ton gegenüber Schwangeren anschlägt. Vor allem aber macht sie deutlich, dass es hier um einen echten Wertekonflikt geht: zwei moralisch gleichwertige Ansprüche, die schwer miteinander zu vereinbaren sind. Der geforderte Respekt vor der Freiheit und Verantwortungsfähigkeit der Schwangeren ist zeitgemäß, das entspricht unserem evangelischen Menschenbild. Es geht nicht darum, von kirchlich institutioneller Seite die Frauen zu belehren. Es geht darum, ihnen etwas zuzutrauen und ihnen auf diesem Weg hilfreich und unterstützend zur Seite zu stehen – wenn sie das wünschen.  

Sie haben sich in einem Kommentar zur Veröffentlichung der Stellungnahme der EKD dafür ausgesprochen, dass die Schwangerschaftskonfliktberatung verpflichtend bleibt und von einer Reihe von weiteren psychosozialen Angeboten flankiert wird. Sollte man das nicht auch in die freie Verantwortung der Schwangeren stellen?  
Christian Kopp: Die Pflicht zur Beratung soll die Entscheidung der Frau – oder der Paare – nicht einschränken. Es geht darum, sicherzustellen, dass jede Frau in dieser schwierigen Lage Zugang zu guter Beratung hat: leicht erreichbar, in der Nähe und ohne Hürden. Sie soll mit dem Beratungsangebot eine Hilfe bekommen, einen Raum für eine wohlüberlegte, selbstbestimmte Entscheidung. Ohne Druck von außen, mit guten Angeboten. Dafür braucht es oft Informationen, die noch fehlen. Das bestehende Beratungsangebot soll deshalb bekannter werden – und wir wollen, dass es weiter ausgebaut wird. Die kirchlichen Beratungsstellen in Bayern leisten hier einen unverzichtbaren Beitrag für das gesellschaftliche Leben. Aber: Nicht überall ist der Zugang gleich gut. Hier müssen wir gemeinsam mit staatlichen Stellen und anderen Akteuren an einer Verbesserung der Zugänge und einem stärkeren Bewusstsein für diese Möglichkeiten arbeiten. Hilfe darf nicht vom Wohnort abhängen. 

"In der Kirche sprechen wir von Gottes großem „Ja“ zum Leben, zu jedem Leben. Dieses Ja muss sich auch in den Strukturen zeigen: in guter Beratung, in verlässlicher Information, in Betreuungseinrichtungen."

Landesbischof Christian Kopp

Braucht es dann eigentlich noch eine Neuregelung des § 218 wie von der jetzt abgetretenen Bundesregierung initiiert? 
Christian Kopp: Ich antworte mit Jesus, der gesagt hat: Gesetze sind für Menschen da und nicht umgekehrt. Wenn ein neues bzw. verändertes Gesetz den Menschen besser dient als das bisherige, dann wäre die Antwort klar und deutlich: Ja. Aber: der Weg dahin ist nicht einfach. Es braucht eine ehrliche Debatte, die den sozialen Frieden nicht gefährdet. Wir dürfen nicht mehr kaputt machen, sondern müssen mehr verbessern. Und die gewonnenen, richtigen Einsichten verlangen dann eine gute Umsetzung. Was der Kommissionsbericht gezeigt hat: Es gibt eine Stigmatisierung von Frauen in Schwangerschaftskonflikten und nach einem Abbruch. Gegen solche Stigmatisierung müssen wir als Gesellschaft angehen.  

Stigmatisierung heißt zum Beispiel: fehlende Informationen in verständlicher Sprache, sogenannte Gehsteigbelästigungen vor Kliniken, oder dass der Abbruch im Strafgesetzbuch direkt neben Mord und Totschlag steht. Wir werden darüber diskutieren müssen, wie wir geeignete Mittel finden, auf den verschiedenen Ebenen dieser Stigmatisierung entgegenzuarbeiten. Wie kann man das anders regeln – ohne zu verharmlosen, aber auch ohne zu stigmatisieren? Gesetze können dafür einen guten Rahmen schaffen, wenn dieser Rahmen aber nicht mit dem entsprechenden Geist gefüllt wird, dann wird er wenig helfen.  

Ein Abbruch beendet Leben. Das darf nicht gering geachtet werden. Genau deshalb braucht es einen guten rechtlichen Rahmen für die begründeten Ausnahmen. Ein Gesetz allein reicht nicht. Es braucht auch den Geist, der es trägt. Einen Geist, der dem Leben dient. 

14.05.2025
ELKB

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