„Bedroht, beschützt, beheimatet: Jüdisches Leben heute” - Jahresempfang der Akademie Tutzing erstmals online. Ein Beitrag von Axel Mölkner-Kappl.

Evangelische Akademie Tutzing

Jahresempfang online

„Bedroht, beschützt, beheimatet: Jüdisches Leben heute” - Beiträge vom Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing vom 25. Januar 2021 zum Nachlesen und Nachsehen.

Der Jahresempfang, zu dem die Evangelische Akademie Tutzing traditionell im Januar Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Medien und Kirche einlädt, fand am 25. Januar 2021 erstmals online statt.

“Bedroht, beschützt, beheimatet: Jüdisches Leben heute” – unter diesem Motto stand der Festvortrag von Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. "Mir ist klar, dass wir mit knapp 100.000 Gemeindemitgliedern eine sehr kleine Community sind. Viele nicht-jüdische Bürger haben kaum Gelegenheit, Juden kennenzulernen. Deshalb ist es so wichtig, dass durch Anlässe wie das Festjahr „1.700 Jahre“ sowie über Schulen, Bildungseinrichtungen wie die Evangelische Akademien und Vereine wie die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit mehr über das heutige jüdische Leben bekannt wird", erläuterte Schuster.

Wichtig für den Zentralratsvorsitzenden ist die Erinnerungskultur und die Bedeutung der Gedenkstättenarbeit. Schuster: "Wir stehen heute vor der Aufgabe, eine Erinnerungskultur ohne Zeitzeugen zu entwickeln. Eine Erinnerungskultur, die neue Formen findet, um auch die jüngere Generation anzusprechen und mitzunehmen." Eindringlich wiederholte der Zentralratsvorsitzende seine Forderung, in ganz Deutschland KZ-Gedenkstättenbesuche verpflichtend für Schüler weiterführender Schulen zu machen und Mitarbeitenden in Polizei und Justiz zu empfehlen. "Neben dem Schulunterricht bietet der Besuch einer Gedenkstätte die beste Möglichkeit, um Kenntnisse zu vermitteln und Empathie mit den Opfern zu schaffen", so Schuster.

Wir brauchen das, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken, um den antidemokratischen Fliehkräften wirksam etwas entgegenzusetzen. Es darf ihnen nicht gelingen, Ressentiments gegen Minderheiten noch weiter zu verbreiten. Politik, Medien und Zivilgesellschaft müssen sich dagegen stellen.

Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland im Festvortrag

Doch auch heute seien Juden in Deutschland mitunter bedroht und würden von der Polizei beschützt. Schuster verwies auf judenfeindliche Angriffe wie den Anschlag von Halle an Jom Kippur 2019, den Angriff auf einen Studenten kürzlich vor der Hamburger Synagoge und den Antisemitismus der Corona-Leugner. Erinnerungskultur, Wissen um das Judentum und vielfältige Kontakte und Begenungen könnten "den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken, um den antidemokratischen Fliehkräften wirksam etwas entgegenzusetzen". Schuster: "Es darf ihnen nicht gelingen, Ressentiments gegen Minderheiten noch weiter zu verbreiten. Politik, Medien und Zivilgesellschaft müssen sich dagegen stellen. Was wir vor allem brauchen, sind Bürger, die sich für unser Land verantwortlich fühlen. Eine stabile Demokratie ist nichts Selbstverständliches. Demokratische Werte müssen immer wieder neu erlernt und eingeübt werden."

Grußworte sprachen der Bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder und der Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. „Wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland Ziel von Hass und Gewalt werden, wenn Rabbiner auf der Straße verbal und physisch angegriffen werden oder wenn sogar Synagogen Ziel brutaler Terroranschläge werden, dann mischen sich bei mir Gefühle von Ohnmacht und großer Trauer mit Abscheu und Zorn, aber auch mit der festen Entschlossenheit, nie wieder zuzulassen, dass die dahinterstehenden menschenverachtenden antisemitischen Ideologien wieder salonfähig werden“, so der Landesbischof nachdrücklich.

Die Feier „1700 Jahre Judentum in Deutschland“ sei deswegen wichtig, so Heinrich Bedford-Strohm, weil es besondere Gelegenheit dazu geben werde, sich nicht nur mit Angriffen auf das Judentum auseinanderzusetzen, sondern vor allem positiv seinen großen Beitrag zum Reichtum der religiösen und kulturellen Traditionen in Geschichte und Gegenwart unseres Landes sichtbar zu machen. Bedford-Strohm verwies auf die in besonderer Weise internetgestützte Kampagne „#beziehungsweise – jüdisch-christlich näher als du denkst“ und die Aktivitäten des Bayerischen Bündnisses für Toleranz.

Coronabedingt war eine Präsenz-Veranstaltung im Schloss Tutzing nicht möglich. “Weder eine Verschiebung noch ihn ausfallen zu lassen, waren für uns eine Option”, so Akademiedirektor Udo Hahn im Vorfeld. “Das Thema der Festrede setzt immer einen eigenen Akzent, mit dem zum Ausdruck kommt, wofür unser Haus steht: für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Respekt, Toleranz, Zivilcourage.” Das sei in diesem Jahr besonders wichtig, in dem bundesweit an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnert werde. Mit ihrem Jahresempfang und weiteren Veranstaltungen wolle auch die Evangelische Akademie Tutzing einen Beitrag zur Meinungsbildung leisten, so Hahn. Für den musikalischen Rahmen sorgt das Trio des Jewish Chamber Orchestra Munich mit Sándor Galgóczi (Violine), Charlotte Walterspiel (Viola) und Anikó Zeke (Violoncello).

Den Online-Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing vom Montag, 25. Januar 2021 können Sie hier noch einmal nacherleben.

26.01.2021
Evangelische Akademie Tutzing/ELKB