Frau mit Kind in Gurku, Nigeria

Beten für verfolgte Christinnen und Christen in Nigeria, im Bild eine Frau im interreligiösen Friedensdorf Gurku.

Bild: Mission 21-Basel

Nigeria

Religion ist Hauptinhalt des Lebens

Am Sonntag "Reminiszere", den 17. März 2019, sind alle Gemeinden aufgerufen, für bedrängte und verfolgte Christinnen und Christen zu beten. Die Fürbitte gilt in diesem Jahr den Menschen in Nigeria.

Mit 186 Millionen Einwohnern ist Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Es ist ein demokratischer, föderaler Staat, dessen Verfassung das Recht auf Religionsfreiheit garantiert. Und doch wird es immer wieder von terroristischen Anschlägen und Überfällen erschüttert. Ungefähr seit 2008 gehen Nachrichten über Unruhen und Zusammenstöße in Nordnigeria durch die internationalen Medien. Die islamistische Terrorgruppe „Boko Haram“ (= „Erziehung/Ausbildung verboten!“) hat dort stellenweise ganze Gebiete erobert und massenhafte Fluchtbewegungen ausgelöst.Seit die terroristischen Überfälle vor neun Jahren begannen, wurden Menschen getötet, vertrieben, wurden Häuser und Kirchen zerstört und Dörfer niedergebrannt. Und immer wieder wurden besonders junge Frauen und Kinder verschleppt und versklavt.

Die Kirchendemeinden in Deutschland wollen an all diese Menschen, an ihre Not und an ihre Hoffnung, erinnern. Der zweite Sonntag in der Passionszeit, Reminiszere („Gedenke!“), in diesem Jahr der 17. März, ist der gemeinsamen Fürbitte für bedrängte und verfolgte Christinnen und Christen weltweit gewidmet. In diesem Jahr wird für die Glaubensgeschwister in Nigeria gebetet.

 

Wir bitten um das Gebet unserer Geschwister in aller Welt – besonders für diejenigen von uns, die in diesen Tagen in ihre Heimat zurückkehren und inmitten von Zerstörung die Kraft für einen neuen Anfang finden müssen. Bitte betet auch für politische Stabilität in Nigeria, weil 2019 im ganzen Land Wahlen stattfinden werden. Wir beten für freie, faire und glaubwürdige Wahlen zur Ehre Gottes in unserem Land.

Rev. Anthony Ndamsai, Vizepräsident der Kirche der Geschwister (EYN)

Nigeria ein sehr religiöses, aber geteiltes Land: die eine Hälfte der Gesamtbevölkerung ist christlich, die andere muslimisch. Der Norden, eher arm, wird zumeist von Muslimen bewohnt – hier gilt auch in zwölf von den insgesamt 36 Bundesstaaten islamisches Recht, die Scharia. Im durch Erdölvorkommen eher reichen Süden leben hauptsächlich Christen und Christinnen unterschiedlicher Konfessionen. Und in der Mitte des Landes, im sogenannten Middle Belt, führen massive Verteilungskämpfe, z.B. um Land- und Viehbesitz, die dazu noch einen ethnisch-religiösen Hintergrund haben, zu andauern.Sabine Dreßler hat Riley Edwards-Raudonat, Pfarrer der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Nigeria, zur aktuellen Lage und zur Rolle des Christentums in Nigeria befragt.

Herr Edwards-Raudonat, Sie haben für zehn Monate den Dienst in der Deutschen Gemeinde in Lagos und Abuja übernommen – was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?
Riley Edwards-Raudonat: Nigeria ist ein faszinierendes Land. Die Möglichkeit, es näher kennenzulernen und dabei im Rahmen der deutschen Gemeinde einen sinnvollen Dienst zu tun, war für mich sehr attraktiv.

Lässt sich kurz zusammenfassen, was Nigeria ausmacht – was die derzeit größten Stärken und die größten Probleme des Landes sind?

Riley Edwards-Raudonat: Nigeria ist etwa so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen und hat eine Bevölkerung von knapp 200 Millionen Menschen. Ihre Volkswirtschaft ist inzwischen die größte in Afrika. Es verfügt über reichhaltige Erdölvorkommen; somit ist auch Geld im Land.

Der Reichtum ist aber ungleich verteilt. So gelten in Nigeria mehr als 73 Millionen Menschen als sehr arm – das sind sogar mehr als in Indien. Zugleich aber wohnen mehr als 20.000 US-Dollar Millionäre und Milliardäre in Nigeria. Ihre Luxuskarossen sehe ich in Abuja und Lagos oft. Ein Land der krassen Gegensätze also.

Wie können wir uns das (Gemeinde-)Leben der deutsch-sprachigen Gemeinde vorstellen? Wer kommt da zusammen, was beschäftigt die Menschen? Hat das etwa für den Gottesdienst oder für kirchliche Feste Bedeutung?

Riley Edwards-Raudonat: Die Gemeinde in Abuja feiert ihre Gottesdienste auf deutsch. Die Gemeindeglieder sind in der Hauptsache Mitarbeitende oder Angehörige der großen Baufirma „Julius Berger“ oder der deutschen Botschaft. Sie freuen sich insbesondere über Angebote für ihre Kinder. Familiengottesdienste werden gerne wahrgenommen.

In Lagos ist die Lage völlig anders. Die Gottesdienste sind englischsprachig und werden in der Hauptsache von Afrikanern besucht. Dabei sind auch viele Migranten, vor allem aus Kamerun und Kongo. Viele davon waren entweder selbst einmal in Deutschland oder sie haben dort Verwandte und Freunde. Die deutsche Gemeinde ist somit eine Möglichkeit, die Verbindung nach Deutschland zu pflegen.

 

"Der Frieden wächst mit uns" - Ein Film von mission21.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und wenn ja, worum geht es dabei?

Riley Edwards-Raudonat: In Abuja und Umgebung gibt es viele Menschen, die durch Boko Haram aus Nordostnigeria vertrieben wurden. Die einheimische Kirche „Ekklesiyar Yan’uwa in Nijeriya“ (EYN) unterstützt sie auf vielfältige Weise. Insbesondere ist sie Träger einer Siedlung für solche Menschen in Gurku. Eine
weitere Gruppe wohnt im Dorf Pegi, ca. zehn Kilometer von meinem Wohnsitz entfernt. Die deutsche Gemeinde unterstützt diese Gruppen gelegentlich mit Sachspenden. Ich selbst habe sie regelmäßig besucht und oft an ihren wöchentlichen Bibelstunden teilgenommen. Die deutsche Gemeinde ist außerdem Mitglied des nationalen Kirchenrates (Christian Council of Churches in Nigeria).

Welche Rolle spielt das Christentum/die christliche Kirche insgesamt in Nigeria? Und wie stellt sich das Verhältnis zum Islam im konkreten Alltag der Menschen dar?

Riley Edwards-Raudonat: Nigerianer gelten im internationalen Vergleich als extrem religiös. Religion ist Hauptinhalt des Lebens. Christen sind oft nicht nur sonntags in der Kirche. Sie besuchen auch viele Veranstaltungen unter der Woche. Somit sind die Kirchen prägend für das gesellschaftliche Leben insgesamt. Die Bandbreite ist sehr groß. Es gibt die Megakirchen, deren Gottesdienste hochprofessionell gestaltet und von Tausenden besucht werden. Daneben findet man aber auch unzählige Klein- und Kleinstgemeinden. Flächendeckend organisiert ist vor allem die römisch-katholische Kirche. Über das Dachverband „Christian Association in Nigeria“ (CAN), dem sowohl die Pfingstgemeinden als auch traditionell geprägte Kirchen angehören, wird auch zu gesellschaftlichen Fragen Stellung genommen.

Das Verhältnis zum Islam erlebe ich insgesamt als distanziert. Man weiß natürlich voneinander. Auch begegnet man sich im Alltag, etwa auf den Märkten und in den Schulen. Dialogveranstaltungen oder interreligiöse Feiern habe ich aber selbst bisher nicht erlebt. Andererseits ist aber ein Mitglied unseres Kirchenvorstands mit einem Muslim verheiratet. Somit ist das Thema in der Gemeinde immer gegenwärtig, wenn auch eher unterschwellig.

Spitzeck, Hans

Cover des Buches Spitzeck, Hans: Kirchen in Nigeria – Geschichtliche Perspektiven

Kirchen in Nigeria – Geschichtliche Perspektiven

In: Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst (Hg.), Die Macht der Religionen, Herausforderung für Kirche und Gesellschaft in Afrika. Berlin (9-18).

Verglichen mit dem Pfarrdienst in Deutschland: was war Ihre größte Herausforderung in Nigeria?
Und was war Ihnen als Pfarrer besonders wichtig, zu verkündigen und zu tun?

Riley Edwards-Raudonat: Die deutsche Gemeinde in Nigeria muss ihre örtlichen Aufgaben selbst finanzieren. Dabei gibt es keine Kirchensteuer. Die Mitglieder sollen Beiträge bezahlen, monatlich oder auch jährlich. Zudem ist man auf Spenden angewiesen. Die nötigen Mittel für den laufenden Gemeindebetrieb zusammenzukratzen erlebte ich als anstrengend. Darüber habe ich allerdings nicht gepredigt. Ich war immer froh, wenn ich Menschen
seelsorgerlich und kasual begleiten konnte. Die fünf Taufen, die ich im Verlauf des Jahres vollzogen habe, waren besondere Ereignisse. Im kommenden Jahr steht sogar eine Trauung an.

Wofür konkret sollten wir in Deutschland beten am Sonntag Reminiszere, der auf die Situation bedrängter und verfolgter Christen aufmerksam macht?

Riley Edwards-Raudonat: In den zwölf nördlichen Bundesstaaten Nigerias gilt die Scharia. Die dort lebenden Christen erleben vielfach Benachteiligungen, etwa bei der Verteilung von Studienplätzen oder bei der Arbeitssuche. Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram hat zudem mehr als zwei Millionen Menschen aus Nordostnigeria vertrieben. Viele davon sind Christen. Bei den gewalttätigen Übergriffen haben diese Menschen Unsägliches erlebt. Sie sind oft traumatisiert und haben große Mühe, an einem anderen Ort fernab der Heimat eine neue Existenz aufzubauen. Sie sind für unsere Gebete äußerst dankbar. Langfristig hoffen sie sehr, einmal wieder in ihre angestammten Gebiete zurückzukehren.

19.02.2019
Sabine Dreßler/EKD